Kopftuchverbot nach EuGH unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

Heute hat der EuGH über zwei Fälle zu entscheiden, bei denen es um arbeitgeberseitige Kündigungen im Zusammenhang mit dem Tragen eines Kopftuches ging.

Der erste Fall betraf eine Mitarbeiterin, die als Rezeptonistin für ein Unternehmen arbeitete, dass für andere Unternehmen aus dem öffentlichen und privaten Sektor Rezeptions- und Empfangsdienste erbringt. Eine unternehmenweite Regelung, die der Betriebsrat ausdrücklich gebilligt hatte, verbot allen Arbeitnehmern, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, philophischen und religiösen Überzeugungen zu tragen. Nach 3-jähriger Tätigkeit unter Beachtung dieser Regel kündigte die Mitarbeiterin im April 2006 an, dass sie künftig auch während der Arbeit ihr islamisches Kopftuch zu tragen. Der Arbeitgeber wies darauf hin, dass er dies mit Blick auf die von ihm bei Kundenkontakten angestrebte Neutralität nicht dulden werde und hat die Mitarbeiterin, die an ihrem Ansinnen festhielt, darauf hin entlassen. Die Mitarbeiterin hat hiergegen geklagt und der belgische Kassationsgerichtshof dem EuGH den Fall mit Blick auf bestimmte Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Antidiskriminierungsrichtlinie zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Im Kern hat der EuGH heute entschieden, dass eine unternehmensinterne Regel, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung darstellt. Da diese Regel für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelte, liege keine Ungleichbehandlung vor.

Der EuGH hat sodann weiter ausgeführt, dass die Frage der möglichen mittelbaren Diskriminierung damit noch nicht beantwortet sei und der Vorinstanz verschiedene Hinweise dazu erteilt, welche konkreten Umstände ggf. noch geklärt werden müssen, um diese Frage zu beantworten. Danach wäre von einer mittelbaren Diskriminierung auszugehen, wenn sich erweisen sollte, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die die o.g. Regel enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Gleichzeitig hat der EuGH aber auch zum Ausdruck gebracht, dass eine mittelbare Diskriminierung ausgeschlossen ist, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel des Arbeitgebers gerechtfertigt ist. Hierzu führt er aus, dass der Wunsch eines Arbeitgebers, seinen öffentlichen und privaten Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, insbesondere dann rechtmäßig ist, wenn nur die Arbeitnehmer einbezogen werden, die mit den Kunden in Kontakt treten und begründet dies damit, dass dieser Wunsch zu der von der Charta anerkannten unternehmerischen Freiheit gehöre. Diese Punkte und die Frage, ob eine Versetzung der Mitarbeiterin an einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt als milderes Mittel in Betracht zu ziehen gewesen wäre, hat nun der belgische Kassationsgerichtshof zu klären.

In einem weiteren ebenfalls heute entschiedenen Fall ging es um die Mitarbeiterin eines privaten Unternehmens, die vor ihrer Bewerbung darauf hingewiesen wurde, dass das Tragen eines islamischen Kopftuches als problematisch angesehen werde. Hierauf erschien sie für ein Vorstellungsgespräch zur Durchführung eines sog. Abschlusspraktikums mit einem einfachen Bandana. Im Anschluss trug sie während des Praktikums ein Kopfuch. Nach dem Praktikum wurde sie vom Unternehmen als Softwaredesignerin eingestellt. Nach einer Beschwerde eines der Mitarbeiterin vom Arbeitgeber zugewiesenen Kunden wegen des Kopftuchs, wurde die Mitarbeiterin unter Hinweis auf die notwendige Neutralität im Verhältnis zu den Kunden, aufgefordert, künftig auf das Kopftuch zu verzichten. Dieser Bitte wollte die Mitarbeiterin nicht entsprechen und wurde schließlich entlassen.

In diesem Fall hat der französische Kassationsgerichtshof den EuGH um Vorbabentscheidung dazu ersucht, ob der Wille eines Arbeitgebers, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin erbringen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann.

Diese Frage hat der EuGH heute ausdrücklich verneint, den französischen Kassationsgerichtshof zugleich aber auch darauf hingewiesen, dass dessen Vorlageentscheidung nicht zu entnehmen ist, ob sich die gestellte Frage aus der Feststellung einer unmittelbar oder mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhenden Ungleichbehandlung ergibt. Demgemäß hat der EuGH weiter ausgeführt, dass es zunächst Sache des Kassationsgerichtshofs sei, zu prüfen, ob die Entlassung der Mitarbeiterin auf einen Verstoß gegen eine interne Regel gestützt wurde, die es verbietet, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen zu tragen. Sollte dies der Fall sein, hat der Kassationsgerichtshof zu prüfen, ob die im erstgenannten Fall vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen vorliegen, d. h. ob die aus einer dem Anschein nach neutralen internen Regel, die tatsächlich dazu führen kann, dass bestimmte Personen in besonderer Weise benachteiligt werden, resultierende Ungleichbehandlung durch die Verfolgung einer Politik der Neutralität sachlich gerechtfertigt sowie angemessen und erforderlich ist.

Erst wenn diese Prüfung zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Entlassung der Mitarbeiterin nicht auf eine solche interne Regel gestützt werden kann, wäre dann zu prüfen, ob der Wille eines Arbeitgebers, dem Wunsch eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin erbringen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt wäre. Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine von der Richtlinie verbotene Ungleichbehandlung keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

Diese Frage hat der EuGH dahingehend beantwortet, dass der Wille eines Arbeitgebers, den Wünschen eines Kunden zu entsprechen, seine Leistungen nicht mehr von einer Arbeitnehmerin ausführen zu lassen, die ein islamisches Kopftuch trägt, nicht als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne der Richtlinie angesehen werden kann.

Mit den dargestellten Entscheidungen hat der EuGH deutlich gemacht, dass die bloße Berufung auf Kundenwünsche ein Kopftuchverbot bzw. eine auf Verletzung desselben gestütze Kündigung nicht ohne weiteres rechtfertigen kann. Erforderlich wäre hierfür vielmehr eine allgemein geltende unternehmensinterne – von jeglicher Religion und Weltanschauung unabhängige – Regel und der rechtmäßige Wunsch des Arbeitgebers, seinen öffentlichen und privaten Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, wobei letzteres jedenfalls dann erfüllt ist, wenn hierbei nur die Arbeitnehmer einbezogen werden, die mit Kunden in Kontakt treten.

Arbeitgeber, die in ihren Unternehmen und Betrieben auch aus Gründen des Betriebsfriedens (künftig) ein neutrales Erscheinungsbild ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicherstellen wollen, sind daher gut beraten, sich über die Formulierung allgemeiner unternehmensinterner Regeln Gedanken zu machen, eine solche Regel mit einem ggf. vorhandenen Betriebsrat verbindlich zu vereinbaren und gegenüber den Mitarbeitenden unter Hinweis auf mögliche Folgen einer Verletzung dieser Regel, entsprechend bekannt zu machen.

Über den Autor

Autorenbild Rechtsanwältin und Notarin Marion Schmidt
Marion Schmidt

Frau Rechtsanwältin & Notarin Schmidt betreut seit über 20 Jahren Arbeitnehmer und Mitarbeitervertretungen im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts. Sie ist außerdem Ihre anwaltliche Ansprechpartnerin in allen erb- und familienrechtlichen Angelegenheiten. Als Notarin entwirft und beurkundet sie für Sie Testamente, Erb- und Eheverträge und unterstützt auch bei Erbscheinsanträgen, Erbausschlagungen sowie Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen.

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