Rücknahme der Beförderungsentscheidung

§ 97 LBG Berlin nicht mit europäischem Recht vereinbar

Der Europäische Gerichtshof (im Folgendem: EuGH) hat am 07.09.2017 (Az. C-174/16) entschieden, dass die Regelung des § 97 LBG Berlin aufgrund von Unvereinbarkeit mit dem Europarecht nicht angewendet werden darf, da hierdurch Beamte daran gehindert würden, sich für Ihren gesetzlich zustehenden Elternurlaub zu entscheiden.

Die Beförderung eines Beamten

Das Laufbahnprinzip ist einer der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (vgl. Artikel 33 Abs. 5 GG). Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Laufbahnen im deutschen Beamtenrecht. Grundsätzlich ist diesen gemein, dass aufgrund des Laufbahnprinzips die einzelnen Beamten Beförderungsämter nicht überspringen dürfen, sondern die Ämter ihrer Laufbahn wie Stufen einer Leiter nach und nach erklimmen müssen. Bevor solch eine Beförderung besoldungswirksam vollzogen wird, muss sich ein Beamter jedoch in einer Erprobungszeit in dem höheren Amt bewährt haben (vgl. beispielsweise § 7 Abs. 4 S. 1 LVO NRW). Für diesen Grundsatz bestehen Ausnahmen (bspws. Regierungs- und Polizeipräsidenten/-innen, die Leitung der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilungen, Staatssekretäre, Chef/Chefin der Staatskanzlei, Richter und Richterinnen, …). Für die meisten Beamten jedoch ist die Feststellung der Bewährung auf einem höherwertigen Dienstposten die Voraussetzung für eine Beförderung in das nächst höhere Amt. Eine Regelung, welche diese Bewährungsmöglichkeit auf eine bestimmte, nicht verlängerbare Zeitspanne beschränkt, kann demnach erhebliche Auswirkungen auf die persönliche Lebensgestaltung von Beamten haben.

§ 97 LBG Berlin

Das Berliner Beamtengesetz regelt in seinem Abschnitt 8 besondere Arten von Beamtenverhältnissen. Der dort aufgenommene § 97 LBG Berlin trifft in neun Absätzen besondere Bestimmungen für Ämter mit leitender Funktion im Beamtenverhältnis auf Probe.
Eine Beamtin hatte Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht gesucht, da sie sich in einem Auswahlverfahren um solch ein Amt in leitender Funktion durchgesetzt hatte. Die Bewährungszeit von zwei Jahren, die sie in dem ihr probeweise übertragenden Beförderungsamt abzuleisten hatte, konnte sie jedoch nicht durchlaufen, da sie zunächst schwangerschaftsbedingt dienstunfähig, dann im Mutterschutz und anschließend im Elternurlaub war. Noch während des Elternurlaubs teilte das Land Berlin ihr mit, dass sie sich nicht erfolgreich bewährt habe und das Beamtenverhältnis auf Probe somit beendet würde. Die Stelle wurde neu ausgeschrieben und anderweitig besetzt.

Die Beamtin suchte Rechtsschutz auf Aufhebung des Bescheids und auf Feststellung, dass sie sich weiterhin in dem Rechtsverhältnis befinde, indem sie ihre Bewährung durch Erprobung für das Beförderungsamt nachweisen könne. Sie berief sich dafür auf die überarbeitete Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (Richtlinie 2010/2018/EU vom 08.03.2010 zur Durchführung der von BUSINESS EUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG). Diese Rahmenvereinbarung bestimmt in § 5, Ziffern 1 und 2, dass der Beschäftigte im Anschluss an den Elternurlaub das Recht hat, an seinen früheren Arbeitsplatz zurückzukehren bzw. gleichwertige oder ähnliche Tätigkeiten zugewiesen zu bekommen und dass die Rechte, die zu Beginn des Elternurlaubs erworben waren, oder welche der Beschäftigte gerade dabei war zu erwerben, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben müssten.

Die Entscheidung des EuGH zu Elternzeit und Bewährung im Beförderungsamt

Das Verwaltungsgericht legte die Frage, ob § 97 LBG Berlin mit dem europäischen Recht vereinbar ist, dem EuGH vor.
Dieser stellte in der anfangs zitierten Entscheidung fest, dass diese Regelung des Landes Berlin mit europäischem Recht unvereinbar sei. Denn die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub habe das spezifische Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Die Unterbrechung der Berufsuntätigkeit, um familiären Verpflichtungen nachzukommen, sei ein geschütztes Recht. Nach Ausübung dieses geschützten Rechts müsse die Rückkehr in das Berufsleben zu denselben Bedingungen erfolgen, die bei Antritt dieser Elternzeit bestanden. Es wäre gerade der Zweck der Vereinbarung gewesen, es abzuwehren, dass die zuvor erworbenen Rechte durch Elternzeit wieder eingebüßt werden können.
Nach der Bestimmungen des Landesbeamtenrecht können die hier in Frage stehenden Beförderungsämter zunächst nur im Beamtenverhältnis auf Probe übertragen werden. Die Probezeit beträgt zwei Jahre und eine Verlängerung der Probezeit ist unzulässig (vgl. § 97 Abs. 1 S. 1-3 LBG Berlin). Nach Ansicht des EuGH würde eine über die Mindestdauer von vier Monaten hinausgehende Elternzeit oder gar die vollständige Ausschöpfung von Elternzeit durch § 97 LBG Berlin möglicherweise verhindert werden, weswegen eine Unvereinbarkeit mit europäischem Recht bestehe.

Die Bedeutung dieser Entscheidung in der Praxis

Neben der Nichtanwendbarkeit der Regelung hat sich der EuGH ebenfalls zu den praktischen Folgen der Nichtanwendbarkeit solch einer nationalen gesetzlichen Regelung geäußert. So seien Dienstherrn dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Beamte bei Rückkehr aus ihrem Elternurlaub in das zuvor übertragende Beförderungsamt auf Probe zurückkehren könnten, um ihre Probezeit fortzusetzen. Sollte es für den Dienstherrn aus objektiv zwingenden Gründen (die von ihm nachzuweisen sind) unmöglich sein, den spezifischen Beförderungsposten bis zur Rückkehr der Betroffenen vorübergehend mit einer anderen Person zu besetzen oder gar unbesetzt zu lassen, habe das zurückkehrende Elternteil den Anspruch darauf, einen in jeglicher Hinsicht gleichwertigen Dienstposten zugewiesen zu bekommen, auf welchem die Probezeit abgeschlossen werden kann. Nach Absolvierung der Probezeit müsse die endgültige Übertragung des Beförderungsamtes erfolgen.
Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des EuGH ein erhebliches Maß an Rechtsklarheit für die Anwendung der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub bringt und den Dienstherrn ein klares Signal sendet, dass die mögliche Tatsache, dass Beförderungsdienstposten gegebenenfalls nicht freigehalten werden können, die berufliche Fortentwicklung von Müttern und Vätern, welche ihr Recht auf Elternurlaub ausüben, nicht schmälern darf.

Herr Rechtsanwalt Brunnert und Frau Rechtsanwältin Siebe vertreten eine Vielzahl von Beamtinnen und Beamten in allen dienstrechtlichen Angelegenheiten – insbesondere auch im Laufbahnrecht. Für die Durchsetzung Ihrer Rechte aus dem Beamtenverhältnis – und unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsentwicklung – stehen wir auch Ihnen gerne zur Verfügung.

Über den Autor

Autorenbild Rechtsanwältin und Notarin Astrid Siebe
Astrid Siebe

Frau Rechtsanwältin Siebe ist Fachanwältin für Verwaltungsrecht. Sie ist besonders spezialisiert im öffentlichen Dienstrecht, wobei sie neben Beamten auch Arbeitnehmer und Personalräte vertritt.

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